Samstag, 22. 10. 2011 - Cuxhaven



So – (hoffentlich) alles gepackt, es geht los! Das Problem ist ja dass es auf dem Schiff keinen Platz für Gepäck gibt, man sollte also einen Seesack oder ähnliches mitnehmen. Sollte ich einen Seesack kaufen? Kosten zwar nicht viel, aber dann liegt wieder etwas mehr rum zu Hause. Die Lösung fand sich im Keller meiner Nachbarin in Form einer riesigen aber stabilen, zusammenfaltbaren Sporttasche. Und was braucht man für so eine Reise? Sicher ist es kalt, aber wie ist es im Süden? Und wasserfeste Kleidung ist angesagt, so mussten Gummistiefel und Ölzeug mit. Viele Taschentücher, weniger zum Naseputzen, aber wenn es regnet wollen Brille und Objektive sauber gehalten werden. Taschenlampe – viele Kleinigkeiten halt.

Walter fährt mich um 6 Uhr zum Hauptbahnhof, kaufe mir einen Kaffee und ein Muffin, der Zug fährt pünktlich um 0658 nach Hamburg. Fahre 1. Klasse für 49 Euro.

Ankunft superpünktlich in Hamburg, wo ich eine halbe Stunde Aufenthalt habe. Ich muss den Bahnsteig wechseln. Beim Warten auf den Zug nach Cuxhaven fallen mir vier männliche Wesen auf dem Bahnsteig auf, einer hat einen Seesack. HM – ob die zur SEDOV wollen? Bei genauerem Augenschein sehe ich noch einen kleinen Sedovseesack. Naja, ist ja sonst nicht meine Art fremde Männer auf Bahnhöfen anzuquatschen, mache aber mal eine Aussnahme – siehe da, ja, sie gehen auch zur SEDOV! Schön schon Mitreisende kennenzulernen und gut zu wissen dass ich nicht die Einzige bin die Ersttäter ist!

Nach Abfahrt in Frankfurt war es erst neblig, dann traumhaftes Wetter, so auch in Cuxhaven, wo wir auf die Minute pünktlich ankommen. Auf dieser Reise kann ich wirklich nicht über die Bahn meckern.

Erst müssen wir uns etwas schlau machen wo das Objekt unserer Begierde liegt, dann machen wir uns auf den langen Marsch, ich mit meiner 19kg Tasche (die Anderen fahren nur bis Santander). Bald hilft mir aber ein grosser, kräftiger Reisegefährte, ihm nachträglich nochmal vielen Dank! Hätte ich allerdings gewusst wie weit es ist hätte ich mir ein Taxi geleistet.

Schon bald sichten wir das Objekt unserer Begierde...

 

 
Auf der SEDOV ist gerade open ship, das heisst man kann das Schiff besichtigen, und es wartet eine kleine Schlange. Wir gehen gleich zu dem Kadetten an der Gangway und geben uns als Trainees zu erkennen. Natürlich können wir sofort aufs Schiff, warten aber noch bis zwei Leute runterkommen, die gerade auf der Gangway sind. Sofort umrundet mich ein älterer Herr mit empörtem Blick, mit seiner Gattin im Schlepp wohl in der Meinung wir drängeln uns vor. Der Kadett murmelt schüchtern auf englisch „first Trainees“, ich bitte den Herrn freundlich aber bestimmt zu warten. Da merkt er wohl dass er nicht punkten kann. Wir werden nett empfangen von einem Deutschen, er stellt sich uns als Traineebetreuter vor. Er zeigt uns unsere Kammern. Im Moment stehe ich vor dem Problem wie ich meine grosse Tasche den engen Niedergang runterbringe, lasse sie dann einfach am Trageriemen vor mir über die Treppe gleiten. Wir sind nur 19 Passagiere so dass wir zu dritt in einer 6er-Kammer sind. Es ist die kleinste Kammer und mit sechs Leuten wird es schon sehr eng, zu dritt aber kein Problem. Später stellt sich heraus wir sind 4 Mädels und 15 Jungs, alles Deutsche ausser zwei jungen Ukrainern, wovon einer in Oslo lebt, im Alter zwischen Mitte 30 und Mitte 70, nur die beiden Ukrainer sind jünger. Wohl typisch für solche Reisen – alle sind Einzelreisende. Schnell lerne ich auch meine Kammerkameradinnen kennen und ich habe gleich das Gefühl dass wir uns gut verstehen, leider fahren beide nur die erste Strecke mit.

Nach Umbau des Schiffes von ein paar Jahren gibt es drei 6er, eine 8er und zwei 10er Kammern. Eine 6er Kammer ist von den drei weiblichen Kadetten belegt.

Ich spaziere nochmal zurück ins Ort und kaufe mir im Supermarkt zwei Flaschen Wasser und eine kleine Flasche Whiskey. Auf dem Rückweg möchte ich noch eine Fischkleinigkeit essen, dabei treffe ich auch meine Reisegefährten wieder. Zurück auf dem Schiff packe ich erstmal aus - jeder hat einen Spind und eine grosse Schublade im unteren Bett, da wir aber nur zu dritt sind können wir jeweils zwei Schubladen nutzen - und gehe dann an Deck, es ist relativ warm, T-Shirt und Troyer reichen. Um 17 Uhr, eine Stunde früher wie vorgesehen, fahren wir aus. Es gibt etwas Probleme die Gangway einzuholen, es werden sogar ein paar starke Männer aus den vielen Zuschauern rekrutiert. Wir bleiben draussen und geniessen die Ausfahrt, mein Mann schickt eine SMS dass er uns auf einer WEBCam sieht. Gegen 18 Uhr gehen wir zu einem ersten Kaffee in den Leninraum und bleiben dann draussen bis es um 19:30 Abendessen gibt. Ausserdem sehen wir einen traumhafter Sonnenuntergang.


Wir hängen am Schlepper

 

Letzte Telefonate - auf See haben wir keinen Empfang

 

 
Der Leninraum

Früher war der Leninraum unter Deck das Büro des Politoffiziers und Ehrenraum für Lenin. Später wurde er umgebaut zum Traineeaufenthaltsraum, hier kann man sich kostenlos Kaffee oder Tee machen oder mit Wasser versorgen, Abends auch mal ein Bierchen, Wein oder ein Schnäppschen gönnen. Jeder bekommt einen Getränkepass wo man einträgt was man konsumiert hat, abgerechnet wird am Schluss der Reise.

Eine Ecke des Raumes ist mit Erinnerungen und Poster vom Film „Untergang der Pamir“ gewidmet, da die Schiffsaufnahmen mit der SEDOV gemacht wurden. Dies ist auch der Grund für ihren heutigen schwarzen Anstrich, an den sich viele immer noch nicht gewöhnt haben.

Auch wenn der Raum heute Traineeaufenthaltsraum ist – den Namen Lenin wird er wohl immer behalten.


 
Wir essen mit den Kadetten, auf See gibt es vier Mahlzeiten – 07:30 Frühstück, 11:30 Mittagessen, 15:30 „Teatime“ (ein besserer Name fiel uns nicht ein – in der Schweiz würden wir „Zvieri“ - zum Vier-Uhr – sagen) und 19:30 Abendessen, im Hafen nur drei, „Teatime“ entfällt. Gegessen wird in zwei Gruppen, die zweite Gruppe folgt jeweils eine halbe Stunde später. Wir Trainees belegen zwei Tische, da wir nur wenige sind essen wir nur mit der ersten Gruppe. Mittags und Abends gibt es immer Suppe, das Hauptgericht steht auf einem Teller am Platz bereit, was natürlich zur Folge hat dass es nicht immer ganz warm ist. So entfällt aber etwelche Lauferei und es spart Zeit, besonders bei Seegang. Immer auf dem Tisch – Brot und zum Frühstück und Teatime Butter und Marmelade, die zwar lecker ist, alle aber ähnlich schmecken. Über das Ganze regiert eine mütterliche Dame namens Luba, sie spricht nur russisch und ist schon ewig auf dem Schiff und sorgt rührend für uns Trainees. Ihr zur Seite stehen jeweils fünf Kadetten.


Heute gibt es Kohlsuppe, schmeckt gut, Brot, Buchweizen, eine Art Fleischpastete mit einem Ei drin und einem Gürkchen. Fast alle von uns lassen den Buchweizen stehen. Zu Trinken gibt es Fruchtsaft, sieht aus wie Tee, ist etwas süss und ganz gut. Es wird sich herausstellen dass es zum Essen meist Fruchtsaft gibt, süss, oft selbst eingekocht, dann nennt er sich kompoti.

Wir gehen in den Lenin zu einem Bierchen und quatschen, gegen 22 Uhr an Deck, herrlicher Sternenhimmel. Vor den Kammern unterhalte ich mich noch etwas mit einem Mitreisenden, er war früher Frachtschiffkapitän und wir sollten gute Freunde werden. Er fährt auch bis Cádiz. Es kommt die Durchsage dass morgen Wecken erst um 8 Uhr ist weil es Sonntag ist. Schreibe noch Tagebuch, lese noch etwas und gehe dann gegen 23 schlafen.